Recherchen zu Nazistrukturen aus Hannover und der Region

Lagebild extrem rechte Aktivitäten 2020 in Hannover und der Region

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Vorwort:

Mit dem Anfang des Jahres 2021 veröffentlichen wir erstmals unser Lagebild zu extrem rechten Aktivitäten in Hannover und der Region. Wir sind für die Dokumentation auf Berichte oder Hinweise angewiesen. Nur ein Bruchteil der realen Vorfälle wird in unserer Chronik erfasst. Die Dunkelziffer an nicht aufgeführten und ausgewerteten Aktivitäten ist um ein vielfaches größer. Wir hoffen, diese Dunkelziffer in den nächsten Jahren kontinuierlich senken zu können und sind dankbar über jeden gemeldeten Vorfall, den wir gerne in unsere Dokumentation aufnehmen.

Mit Hilfe dieses Lagebildes sollen lokale Schwerpunkte sichtbar gemacht werden, Kontinuitäten aufgezeigt und die Existenz extrem rechter Strukturen und die damit einhergehenden Gefahren aufgezeigt werden.

Wir haben uns bewusst dazu entschieden, alle verschwörungsmythologischen Versammlungen und Aktionen mit in unsere Chronik aufzunehmen. Uns ist bewusst, dass das dortige Personenpotential sehr heterogen aufgestellt ist. Nicht jede Person, die eine solche Veranstaltung besucht, hat ein gefestigtes extrem rechtes Weltbild oder kann auf eine Historie in einer solchen Gruppe zurückgreifen. Trotzdem vertreten führende Personen dieser Bewegung antisemitische Einstellungen, es werden extrem rechte Personen und Organisationen toleriert und die grundlegenden Erklärungsmuster basieren auf antisemitischen Erzählungen und Stereotypen. Wer also  eine solche Veranstaltung besucht, nimmt an einer extrem rechten Aktion teil und unterstützt und legitimiert diese mindestens durch die Anwesenheit. Zudem ist eine deutliche Radikalisierung dieses Spektrums zu beobachten. Der Antisemitismus wird dabei immer offener zur Schau gestellt und artikuliert. Die explizite Gefahr, die von Personen dieser Veranstaltung ausgeht wächst ebenfalls weiterhin an. Pressevertreter*innen werden regelmäßig an ihrer Arbeit gehindert und angegriffen, zudem folgt auf die verbale Radikalität in den unzähligen Foren und Telegram-Kanälen auch immer häufiger direkte Attacken gegen vermeintliche Feindbilder und deren Institutionen.

Im Folgenden beschreiben exemplarische Aktivitäten, die Situation in den einzelnen Monaten und geben einen Überblick über die jeweiligen Entwicklungen, und besonders prägnante. Die in diesem Lagebild aufgeführten Beispiele stehen dabei nur exemplarisch für eine Vielzahl an Aktionen. Diese werden in ihrer Gesamtheit in unseren Grafiken ausgewertet. Die Informationen zu jedem Vorfall liegen uns dabei intern vor und wurden von uns verifiziert.

Am Ende unseres  Lagebildes gehen wir zudem auf allgemeine Entwicklungen und Strategien der extremen Rechten ein, welche im Jahr 2020 in Hannover und der Region zu beobachten waren. Schwerpunkt dabei sind die derzeitigen Raumnahmestrategien und die Radikalisierungseffekte bei Verschwörungsmytholog*innen.

Monatsübersicht

Januar

Anfang des Jahres setzen sich die Aktivitäten der „Calenberger Bande“ (CB) um die Neonazis Patrick Kruse und Marcel Brunner fort. In den ersten beiden Wochen des Jahres werden zwischen Pattensen und Ronnenberg diverse Tags der „Calenberger Bande“ samt germanischer Runen und Parolen gesprayt. Die Handschrift gleicht früheren Sprayübungen des CB-Anführers Kruse. Ende Januar wird ein legales Graffiti in Pattensen das eine Person of Colour zeigt, mit dem Slogan „Das ist Pattensen und nicht Paris“ übermalt. Mit der gleichen Farbe wurden zuvor Tags der „Calenberger Bande“ gemalt. Eine Woche später folgen drei Razzien bei Mitgliedern der Neonazigruppe. Beschlagnahmt werden neben elektronischen Datenträgern auch Schablonen, Spraydosen, Plakate und Zeichnungen. (Querverweis Razzien)

Februar

Im Februar sind zwei Störungen von linken Demonstrationen zu vermerken. Am Abend nachdem der Thüringer Ministerpräsident Kemmerich (FDP) mit den Stimmen der AfD-Fraktion gewählt wird, demonstrieren linke Gruppen, Gewerkschaften und demokratische Parteien dagegen am Köpcke in Hannover. Vier Mitglieder der kurz zuvor aufgelösten AfD-Jugendorganisation, der Jungen Alternative Niedersachsen, beobachten die Versammlung und filmen Teilnehmer*innen und Ablauf der Versammlung. Der Clip findet sich in den folgenden Tagen auf einer AfD-Facebookseite. Bei einer Mahnwache für die elf Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau Ende Februar in Hannover stören mehrere extreme Rechte zwei Redebeiträge und verhöhnen die Opfer. Es kommt zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Teilnehmer*innen der Versammlung und den provozierenden Neonazis.

März

Der März startet mit mehreren Razzien. In Hannover und Wettbergen werden zwei Wohnungen im Zusammenhang mit der „Calenberger Bande“ durchsucht. Auch dieses Mal nehmen die Ermittler elektronische Datenträger mit. Zusätzlich stellen sie Farbeimer sicher. Wie schon bei den vorherigen Razzien wird wegen Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen ermittelt. Eine Woche später folgt eine weitere Razzia in Seelze mit dem gleichen Ermittlungsgrund. Dort wird ein sogenanntes „Futterboot“, ein ferngesteuertes Modelboot sichergestellt.
Ende März verletzt sich ein Student beim Entfernen eines Stickers der „Identitären Bewegung“ in Hannover-Kirchrode an einer darunter versteckten Rasierklinge.
Zum Monatsende tauchen in Hannover-Anderten und Groß-Buchholz am Mittellandkanal und am Messeschnellweg Hakenkreuze, SS-Runen, und weitere Parolen auf, die sich unter anderem gegen die antifaschistische Bewegung richten.

April

Plakat
Plakat von „Weiße Rose 2.0“, dass die Gefahr durch den Virus leugnet.

In den Abendstunden des 8. Aprils wird In Celle der 15-jährige ezidische Kurde Arkan Hussein Khalaf durch einen auflauernden deutschen Täter erstochen. Der Angriff erfolgt vor einer türkischen Bäckerei. Ein Freund des ermordeten überwältigt den Täter. Direkt nach der Tat protokollieren Polizeibeamte rassistische Aussagen des Täters, schließen ein rassistisches Tatmotiv aber aus. Im Oktober wird der Täter durch das Landgericht Lüneburg aus dem Prozess auf unbestimmte Zeit in eine Psychiatrie eingewiesen. Dass er sich laut seiner Aussagen von „Kanaken“ verfolgt fühlte spielt im Prozess und für das Urteil keine Rolle. Mitte April werden in Linden und in der Nordstadt vermehrt feministische und antifaschistische Graffitis, unter anderem mit „Smash Feminism“ übermalt. In Linden-Süd und am Lindener Hafen verklebt eine einzelne Person rechte Sticker, unter anderem mit der Fahne des deutschen Kaiserreichs. Wenige Tage später werden in Hannover-Kleefeld Hakenkreuze in zwei Autos geritzt und laut Polizei eine „ausländerfeindliche“ Parole auf die Fassade der Moschee in der List gemalt.

Am 25. April beginnt mit der verschwörungsmythologischen Demonstration des „Nicht ohne uns“-Bündnis die Protestwelle der sogenannten „Coronaleugner*innen“. An der Versammlung am Maschsee nehmen zwischen 80 und 100 Personen teil und lauschen verschwörungsmythologischen Reden und der Musik von Xavier Naidoo. Unter den Teilnehmenden sind auch Tobias Braune, Ex-AfD-Ratsherr der Stadt Hannover und Prof. Stefan Homburg, der in den kommenden Monaten eine Schlüsselrolle für die verschwörungsmythologischen und antisemitischen Demonstrationen bundesweit einnimmt. In den Stunden nach der Demonstration werden in der hannoverschen Südstadt Plakate mit dem Slogan „Keine Macht der Angst“ verklebt, die die Gefahr durch  COVID-19 leugnen. Unterzeichnet ist das Plakat mit „Weiße Rose 2.0“. Schon hier zeigen sich die geschichtsrevisionistischen Tendenzen der Protestbewegung, die ihren Protest in die Tradition des antifaschistischen Widerstands rücken will. In der Nacht vom 29. April auf den 30. April werden auf der Limmerstraße in Hannover-Linden Plakate der „Deutschen Friedensbewegung“ aus dem Reichsbürgerspektrum mit den Überschriften „Frieden – Die Auferstehung der Gemeinden“ und „Wann wachen die Deutschen endlich auf“ verklebt. Im Plakattext wird Deutschland u.a. als Firma bezeichnet und die „Reaktivierung staatlicher Gemeinden“ gefordert. Die Leser*innen werden zur Abgabe ihrer Personalausweise aufgefordert.

Mai

Drohschreiben dass in mindestens elf Briefkästen geworfen wurde. (Unkenntlichmachung:RNH)

Am ZOB Wunstorf sammeln sich in den Morgenstunden des 1. Mai 15 Neonazis um an einer extrem rechten 1.-Mai-Demo im Raum Bremen teilzunehmen. Am gleichen Ort war es im vergangenen Jahr zu einem versuchten Angriff auf das selbstverwaltete Jugendzentrum Wohnwelt gekommen. Am Abend kehrt die Reisegruppe gemeinsam zurück und zieht in die Südstadt. Zwischen dem 01. Und 05. Mai wird der Gedenkort für die Bücherverbrennung am Maschsee in der hannoverschen Südstadt geschändet. Eine dort angebrachte Gedenktafel wurde mit Hakenkreuzen, SS-Runen und „Kanaken raus! beschmiert.

Am gleichen Wochenende werden in mindestens elf Briefkästen in der Südstadt Briefe mit Mordandrohungen und Volksverhetzung eingeworfen. Der Brief ist mit „Auswahl ihrer Entsorgungsmethode“ überschrieben. Die Empfänger*innen werden aufgefordert die Bundesrepublik zu verlassen oder ihre Ermordungsart auszuwählen. Die Empfänger*innen werden aufgefordert das „Schriftstück“ an die Postadresse des NPD Kreisverbandes Hannover zu senden. Unterschrieben ist der Brief mit „Heil Hitler“ und dem Namen „Nationalsozialistische Offensive Deutschland (im Auftrag der NPD)“ Unter dem Namen hatte es bereits in der Vergangenheit bundesweit Drohungen gegeben. Wenige Tage später fasst die Polizei einen 19-jährigen Täter.

Am 02. Mai folgen erneut 300-400 Personen einem Aufruf der verschwörungsmythologischen Coronamaßnahmengegner*innen. Unter ihnen sind neben rechten Hooligans auch rechte Parteifunktionäre von „Die Hannoveraner“ und der ex-Republikaner Jürgen Alenberg. Die Teilnehmer*innen der Versammlung widersetzen sich den infektionsschutzbedingten Auflagen der Polizei und skandieren „Wir sind das Volk“. Im Laufe des ersten Mai-Wochenendes werden an mehreren Stellen in Hannover-Linden außerdem Graffitis mit dem Slogan „Fuck COVID1984“ entdeckt. Der Slogan tauchte kurz zuvor mehrfach in Messengergruppen der Verschwörungsmytholog*innen auf.

Nach dem ereignisreichen Wochenende führt die Polizei am folgenden Montag eine Razzia wegen Volksverhetzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Androhung des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion bei einem unbekannten extremen Rechten in Hannover durch. Beschlagnahmt werden elektronische Datenträger und diverse Schriftstücke. Am gleichen Tag versammeln sich 19 Verschwörungsmytholog*innen, unter anderem mit Symbolen von QAnon. Zuvor war in einer weiteren Telegramgruppe dazu mobilisiert worden.

Eine AfD-Kundgebung am 08. Mai wird noch vor Erfolg des Eilantrages gegen ein Verbot durch die AfD abgesagt. Die Gegenkundgebung von „bunt statt braun“ findet dennoch statt. Am Rande des Gegenprotestes bewegen sich mehrere Verschwörungsmytholog*innen und mindestens zwei stadtbekannte Neonazis. Am folgenden Tag demonstrieren am Opernplatz, Maschsee und am Georgsplatz erneut die Verschwörungsmytholog*innen. Unter den Teilnehmer*innen sind der ehemalige AfD-Funktionär Kai Orak, rechte Hooligans, Teilnehmer*innen der HAGIDA-Proteste, ehemalige Mitglieder der „Jungen Alternative Niedersachsen“, der langjährige Verschwörungsmythologe Carsten Schulz und rechte Hooligans. Mehrere Versammlungsteilnemer*innen tragen gelbe Judensterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“.  Der stadtbekannte Neonazi Ronny Damerow, ehemaliges Mitglied der Kameradschaft „Besseres Hannover“ und Mitglied der HoGeSa-Abspaltung „Gemeinsam Stark“ greift am Rand der Versammlung am Opernplatz mit weiteren Neonazis Journalisten an. Damerow hatte sich in den Stunden zuvor mit einer Neonazi-Clique zu einem Umtrunk vor einem Supermarkt in der Südstadt getroffen. Insgesamt nehmen ca. 100 Personen an den Versammlungen an diesem Tag teil.

In den folgenden Tagen werden im Deister bei Springe mehrere Aufkleber mit der Aufschrift „Deutscher Wald Germanisches Erbe“ entdeckt. Die Verkleber*innen haben zudem im Wald ein Holzschild mit altdeutscher Schrift angebracht. Es weist auf die Überreste einer sächsischen Wallburg hin. Auch auf dem Schild ist „Germanisches Erbe“ zu lesen. Schon Ende April waren diese Aufkleber erstmals gesichtet worden.
In Lehrte-Aligse werden am Folgetag zwei Personen beim Sprühen eines Hakenkreuzes beobachtet. Die Täter werden von Zeugen als groß und blond und groß und glatzköpfig beschrieben.
An den weiteren Versammlungen der Verschwörungsmytholog*innen in Hannover im Mai nehmen ca. 1.160 Personen teil. Bei einer Kundgebung der Verschwörungsmytholog*innen am Waterloo-Platz wird ein Journalist mit einer Glasflasche bedroht und eine Gruppe Gegendemonstrant*innen auf dem Rückweg von zehn bis fünfzehn Nazis angegriffen. Inhaltlich wird der Antisemitismus der Demonstrierenden immer offener propagiert. Ein Redner wettert gegen die machthungrigen Eliten und Freimaurer, ein Reichsbürger vergleicht in einer Rede das Impfen mit den Praktiken des NS-Kriegsverbrechers Mengele. Neben weiteren Neonazis und rechten Hooligans nehmen auch Mitglieder der Identitären Bewegung aus Göttingen und ein rechter Prepper aus Seelze an den Versammlungen teil. Statt einer zentralen Versammlung in der hannoverschen Innenstadt organisiert der rechte „Flügel“ der AfD zum „Tag des Grundgesetz“ am 23. Mai Info-Stände in Langenhagen, Garbsen und Lehrte.

Juni

Anfang Juni werden in Hannover, vor allem in Linden-Mitte und im Süden der Nordstadt vermehrt Sticker „gegen linken Terror“ verklebt. Die Sticker stammen aus dem Online-Versand des Nationalsozialisten Sven Liebich aus Halle. Liebich ist seit mehreren Jahrzehnten in der extremen rechten verwurzelt und gehört zum Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrund, dem NSU. Am 04. Juni durchsucht die Polizei bundesweit Wohnungen und Häuser im Zusammenhang mit Hatespeech. Im hannoverschen Stadtbezirk Bothfeld-Vahrenheide wird die Wohnung eines 59-jährigen unter die Lupe genommen. Die Polizei findet ein Gewehr und eine Pistole. Der Mann soll sich im Internet erfreut über den extrem rechten Mord an Walter Lübcke gezeigt haben. Vier Tage später verhaftet die Polizei in Hildesheim einen 21-jährigen. Er soll in Chats damit gedroht haben Muslime zu töten. Die Polizei stellt mehrere Waffen und elektronische Datenträger sicher. In den beiden folgenden Tagen werden Sticker des neurechten Kampagnennetzwerks „Ein Prozent“ in Hannover-Kleefeld verklebt. Sie richten sich gegen „Schlepper-NGOs“.

Noch in der gleichen Woche wird ein Gedenkort für den in den USA durch Polizisten ermordeten Schwarzen George Floyd in Wennigsen angezündet und zerstört. Schüler*innen hatten in den Tagen zuvor an mehreren Stellen in Wennigsen Gedenkorte mit Plakaten und Kerzen geschaffen.

Am folgenden Wochenende wird eine Fensterscheibe im Büro des Bundestagsabgeordneten Diether Dehm in Hannover-Linden eingeworfen. In den Tagen zuvor hatte es mehrfach anonyme Anrufe im Parteibüro mit „rechtem Geschwätz“ gegeben. Neben der Linkspartei hat auch die türkische Arbeiterpartei DIDIF dort ein Büro. Während am gleichen Wochenende die NPD in Celle-Eschede eine angekündigte Demo durch den Ort absagt und die angereisten Neonazis den dortigen NPD-Bauernhof renovieren, demonstrieren in Hannover erneut 300 Verschwörungsmytholog*innen. Dabei kommt es zu einem Angriff auf einen Journalisten. Im Nachgang werden in einer Telegramgruppe der Verschwörungsmytholog*innen Zeugen gesucht die den Täter entlasten und weitere rassistische Drohungen gegen den Journalisten geäußert.

In der folgenden Woche werden Sticker der Identitären Bewegung in Hannover-Badenstedt und Davenstedt verklebt. Unter anderem wird gezielt vor dem Wohnhaus einer Person gestickert, die auf einer rechten Todesliste steht. Noch in der gleichen Woche wird die Fassade des queeren Jugendzentrum in der hannoverschen Calenberger Neustadt mit homofeindlichen Parolen und Parolen gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK beschmiert. Auch das Wohnhaus des Sprechers für Queer-Politik der SPD wird beschmiert. Am Mittsommerwochenende demonstriert eine Handvoll Nazis durch das Dorf Eschede bei Celle. Dorfbewohner*innen und Gegendemonstrant*innen bespritzen die Nazis mit Wasser und sorgen für eine Verkürzung der Route. Im Anschluss feiern die Nazis auf dem NPD-Hof eine Sonnenwendfeier.
Am 23. Juni gibt es nach dem Verbot der extrem rechten Gruppe Nordadler Razzien in mehreren Bundesländern. Laut Presseberichten soll auch mindestens eine Razzia in der Region Hannover stattgefunden haben. Am folgenden Wochenende finden die Proteste der Verschwörungsmytholog*innen in Linden statt. Die Organisator*innen wollen damit den Protesten der Interventionistischen Linken und „Black Lives Matter“ in der Innenstadt ausweichen. Zum Beginn der letzten Juniwoche verklebt die Identitäre Bewegung Plakate, u.a. mit „White Lives Matter“ in der Südstadt. Die Plakate verhöhnen die Black Lives Matter-Bewegung und den ermordeten George Floyd.

Juli

Bei der verschwörungsmythologischen Demonstration am ersten Juliwochenende in der hannöverschen Innenstadt mit 70 Teilnehmer*innen fordert eine Rednerin blockierende Gegendemonstrant*innen zu überfahren.

Laut lokaler Presse wird Anfang Juli im Rahmen eines „Nachbarschaftsstreits“ das Auto einer muslimischen Familie in Hannover-Vahrenwald mit rohem Fleisch beschmiert.

Am 11. Juli erhalten mehrere Geschäfte rund um das Steintor in Hannover rassistische Drohschreiben. Im Text wird eine vermeintliche Aufräumaktion der Hells Angels angekündigt. Unterschrieben ist der Text mit „Die Deutschen“. Die Polizei leitet Ermittlungen wegen Volksverhetzung ein. Ähnliche Drohschreiben hatte es bereits im Dezember 2019 gegeben. Elf Tage später, am 22. Juli erhält der Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay zusammen mit anderen Parteifunktionär*innen von Die Grünen Drohschreiben in denen sie mit dem Tod bedroht werden. Unterschrieben sind die Mails mit „ NSU 2.0, Nationalsozialistischer Untergrund und Sieg Heil“. Zwei Wochen später werden erneut vermehrt Sticker aus dem Onlineversand von Sven Liebich aus Halle an mehreren Orten in Hannover-Linden und der Nordstadt verklebt. Die Sticker sind überwiegend gegen die antifaschistische Bewegung gerichtet.

Nach einer antifaschistischen Jugenddemonstration am 24. Juli in Hannover-Linden wird eine anschließende Spontandemonstration über die Limmerstraße aus einem Auto mit dem „Wolfsgruß“ der türkisch-faschistischen Grauen Wölfe bedacht.

In der Nacht vom 28.09. auf den 29.09 brennt eine Shisha-Bar in der Mittelstraße in Neustadt am Rübenberge. Die Polizei schließt Brandstiftung nicht aus. Bereits im Frühjahr 2019 hatte es eine Brandstiftung auf eine Shisha-Bar in der benachbarten Leinstraße gegeben. Im Januar 2019 hatte ein unbekannter Täter versucht den Eingangsbereich des Eiscafé Martino anzuzünden. Im Mai 2016 hatte es zudem einen Sprengstoffanschlag auf einen Dönerladen in Neustadt am Rübenberge gegeben.

An den übrigen verschwörungsmythologischen Demonstrationen im Juli in Hannover partizipieren mindestens weitere 254 Teilnehmer*innen. Während der stadtbekannte Verschwörungsmythologe und Ex-Piratenparteimitglied Carsten Schulz als Redner auftritt, beteiligen sich an den Protesten auch erneut Personen in rechter Szenekleidung.

August

Bei einer verschwörungsmythologischen Demonstration am zweiten Augustwochenende, eine Woche nach der bundesweiten verschwörungsmythologischen Demonstration „Wir sind die 2. Welle“ in Berlin, demonstrieren 100 Teilnehmer*innen am Georgsplatz in Hannover. Als Redner tritt wieder einmal der Reichsbürger Lothar Lange auf. Es kommt zu verbalen Angriffen und Drohungen gegen Pressevertreter*innen. Am folgenden Wochenende tritt bei einer ähnlichen Versammlung in Dortmund der Polizeibeamte Michael Fritsch aus Hannover auf. Er verbreitet antisemitische Stereotype und vergleicht die Corona-Situation mit dem Nationalsozialismus. Fritsch war zuvor als Präventionsbeamter an der Überprüfung des Sicherheitskonzepts der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover beteiligt. Die Polizei Hannover suspendiert ihn daraufhin vorläufig. Am folgenden Wochenende greifen Teilnehmende einer weiteren verschwörungsmythologischen Demonstration in Hannover einen Fotojournalisten körperlich an. Wie die Presse am gleichen Wochenende berichtet, weht in der Kleingartenkolonie an der Walkenriede in Hannover-Vahrenwald in der Parzelle eines „etwa 45-jährigen“ eine Reichskriegsflagge. Sowohl der Fahnenbesitzer als auch der Kolonievorstand sehen darin kein Problem. Bereits im Mai hatte es Berichte über eine gleiche Fahne im Garten eines 75-jährigen in Neustadt-Empede gegeben. Im Juni waren zudem zwei schwarz-weiß-rote Fahnen auf einem Balkon in der hannoverschen Südstadt gesichtet worden.

In den Morgenstunden des 22. August beleidigt ein 26-Jähriger aus einer Gruppe Trinkender eine Polizistin in Garbsen – Auf der Horst und zeigte den Hitlergruß.  Kurze Zeit später trifft ihn die Polizei erneut in einer Wohnung. Dort randaliert er. Bei der Festnahme setzt die Polizei Pfefferspray ein. Die Polizei ermittelt u.a. wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Am gleichen Tag werden verklebte Sticker der NPD in Seelze-Letter gefunden.

An der bundesweiten Demonstration „Sturm auf Berlin“ am 29. August bei dem u.a. die Treppen des Reichstags kurzzeitig besetzt wurden, nehmen auch hannoversche Verschwörungsmytholog*innen teil. Das Banner des hannoverschen „Walk to freedom“ war prominent am Wagen des “Netzwerk Impfentscheid“ auf der Friedrichstraße angebracht. Die AfD Hannover hatte eigens einen Bus zur Anreise angemietet.

September

Am ersten Septemberwochenende demonstrieren wieder einmal 50 Verschwörungsmytholog*innen in Hannover. Die  Polizei  kontrolliert Atteste und die Einhaltung der Mund-Nasen-Schutz-Pflicht und die Teilnehmenden teilen die Namen von den Polizisten in einer Messengergruppe. Ein Journalist wird bei der Berichterstattung bedrängt, beleidigt und abfotografiert.

Zeitgleich wird in Barsinghausen bei der Fußballlandesligabegegnung TSV Barsinghausen gegen 1. FC Wunstorf ein schwarzer wunstorfer Spieler durch einen Spieler des TSV Barsinghausen mit Affenlauten bedacht.

Auch in der folgenden Woche kommt es in Barsinghausen zu zwei Vorfällen. Gegen einen Besuch des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn demonstrieren am 11. September 40 Verschwörungsmytholog*innen. Sie müssen von der Polizei auf Abstand gehalten werden. Am Rand der Proteste wird ein Antifaschist von einem Verschwörungsmythologen so heftig ins Gesicht geschlagen, dass mehrere Zähne beschädigt werden. Der junge Antifaschist muss aufgrund von Blutungen im Krankenhaus behandelt werden. Später am Tag demonstrieren ca. 1.100 weitere Verschwörungsmytholog*innen in der hannoverschen Innenstadt. Ein Teilnehmer der Proteste versucht dabei die Lautsprecheranlage des Gegenprotests zu beschädigen. Unter den Teilnehmer*innen ist auch der Neonazikader Stephan Pfingsten, der in den 90er-Jahren zum harten Kern der NPD Göttingen gehörte. Als Redner tritt erneut der suspendierte hannoversche Polizist Michael Fritsch auf. Die Demonstration wird wegen Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen mehrfach gestoppt und schließlich verkürzt. Am Rand der verschwörungsmythologischen Demonstration greifen Teilnehmer*innen Antifaschist*innen an, die rechte Sticker entfernen. Auch am folgenden Tag demonstrieren u.a. 500 Verschwörungsmytholog*innen auf dem Waterloo-Platz in Hannover. Am nächsten Tag findet ein „Corona Stammtisch“ im hannoverschen Stadtteil List statt. Selbsterklärtes Ziel sei die Gründung eines Wählerbündnis für die Kommunalwahlen.

In der folgenden Woche sprayen Unbekannte vier Hakenkreuze mit roter Farbe auf dem Außenbereich des alternativen Wohnprojekts „Burg“, die ehemalige Paul-Dohrmann-Schule im Stadtteil Hannover-Burg.

Am nächsten Tag demonstrieren fünf NPD-Anhänger durch Celle-Eschede. Im Anschluss greifen vier Neonazis unter „Wir schlagen euch tot“-Rufen eine Gruppe Journalisten an. Die Polizei eilt hinzu und fertigt Anzeigen wegen Bedrohung und versuchter Körperverletzung. Am nächsten Wochenende hat sich die Zahl der NPD-Demonstrant*innen in Celle-Eschede fast verdoppelt. Ganze acht Neonazis der NPD ziehen im Vorfeld eines „Reichserntedankfestes“ auf dem Hof Nahtz durch den Ort. Erstmals zeigt sich auch Joachim Nahtz selbst im Ort. Dabei kommt es zu Rangeleien mit dem Gegenprotest. Ein Neonazi auf der Demonstration ist mit einem sogenannten Sicherheitsschirm bewaffnet. Am anschließenden Event auf dem Hof nehmen 40 Personen teil.

Im September beteiligen sich insgesamt 1.753 Personen an verschwörungsmythologischen Versammlungen der „Coronaleugner*innen“ in Hannover.

Oktober

Anfang Oktober wird ein frisch gemaltes Hakenkreuz an einer Tankstelle in Hannover-Ahlem entdeckt und erneut Sticker der Identitären Bewegung in der hannoverschen Nordstadt verklebt. In der nachfolgenden Woche verteilen Aktivisten der Identitären Bewegung Flyer am Maschsee im Rahmen einer „Sommertour“. Einige Tage später entdecken Mitglieder einer Gewerkschaft im Rahmen eines Streiktags auf einem Hinweisschild am Holocaust-Mahnmal am Opernplatz in Hannover mehrere geschmierte Runen und weitere Schmierereien mit antisemitischer Bezugnahme. Laut einer Pressemeldung vom gleichen Tag, wurden in den letzten zwei Jahren mehrfach Hakenkreuze auf ein Auto und eine Plane einer türkischen Familie in Altgarbsen gemalt bzw. geritzt und die Familie eingeschüchtert. Weil die Polizei keinen Täter ermitteln kann, wendete sich die Familie an die Presse. Am 21. Oktober weigert sich ein 44-jähriger Reichsbürger in einem Biomarkt im Hauptbahnhof Hannover eine Maske zu tragen. Die hinzugerufene Bundespolizei nimmt ihn in Gewahrsam weil er weder seinen Ausweis noch sein zweifelhaftes Maskenattest zeigen will. Der Mann leistet Widerstand und tritt einen Beamten. Die Polizei leitet Ermittlungen wegen Widerstand, Körperverletzung und ein Ordnungswidrigkeitsverfahren  wegen des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz ein. Drei Tage später demonstrieren ca. 250 Verschwörungsmytholog*innen am Maschsee in Hannover gegen die Coronamaßnahmen. Im Anschluss findet ein „Laternenumzug“ der Versammlungsteilnehmer*innen am Maschsee statt, bei dem diverse Teilnehmende Fackeln tragen. Ein Journalist wird bei seiner Berichterstattung massiv bedrängt und beleidigt. Die Polizei muss einschreiten und ihn schützen.

November

An der bundesweiten Demonstration der Coronaleugner*innen und Verschwörungsmytholog*innen in Leipzig am 8. November nimmt auch eine „mittlere zweistellige Zahl“ Mitglieder der hannoverschen Initiative „Walk to freedom“ teil. Auf der Demonstration greifen 500-1.000 Nazis und Hooligans Polizeiketten, Presse und Gegenprotest an. Fünf Tage später erscheinen 500 Verschwörungsmytholog*innen zur Kundgebung anlässlich der Bustour des „Querdenkers“ und Verschwörungsmythologen Bodo Schiffmann am Opernplatz in Hannover. Schiffmann und weitere Redner beziehen sich in ihren Reden mehrfach auf das Holocaustmahnmal und vergleichen sich mit den ermordeten Jüdinnen und Juden. Nur wenige hundert Meter entfernt demonstriert im Anschluss die hannoversche AfD mit 20 Personen gegen die maßnahmenbedingte Schließung der Gastronomie. Ein Redner warnt vor einem „Ermächtigungsgesetz“ durch die Bundesregierung. Am darauffolgenden Wochenende werden erneut extrem rechte Sticker in Hannover-Linden verklebt, die sich gegen die antifaschistische Bewegung richten. Bewohner*innen des Stadtteils entfernen sie umgehend. Am 15. November hält die Identitäre Bewegung Niedersachsen ein Heldengedenken am „Greifenstein“ bei Eimbeckhausen im Kreis Bad Münder ab. Am folgenden Wochenende treffen sich 650 Verschwörungsmytholog*innen nach niedersachsenweiter Mobilisierung auf dem Opernplatz in Hannover. Wieder werden keine Masken getragen, Abstände ignoriert und antisemitische Vergleiche gezogen. Ein Redner trägt einen Polizeihelm, wieder sind auch gelbe Sterne mit „ungeimpft“-Aufdruck zu sehen. Der ehemalige Polizist Fritsch verbreitet reichsbürgerideologische Inhalte und nennt die eingesetzte Polizei „gekaufte Söldner“. Ein anderer Redner nennt die Polizei „SA und SS“. Eine 22-jährige Rednerin, Jana aus Kassel, vergleicht sich mit Sophie Scholl, worauf ein als Ordner getarnter Gegendemonstrant die Aussage skandalisiert und die Rede unterbrechen kann. Mindestens zwei Journalisten berichten von Behinderungen bei ihrer Tätigkeit und körperlichen Angriffen bei der verschwörungsmythologischen Versammlung. Einem Journalisten wird auf die Nase geschlagen. Im Nachgang zu dieser Veranstaltung werden in einer extrem rechten Chatgruppe aus dem Umfeld der Partei „Die Rechte“ persönliche Daten, Fotos und der Wohnort des Ordners veröffentlicht.  Am folgenden Tag versammeln sich weitere 300 Teilnehmende auf einer verschwörungsmythologischen Versammlung der Initiative „Walk to freedom“.

Zum Wochenende berichtet der NDR mit Verweis auf Fraktionskreise im Landtag von einer extrem rechten Chatgruppe innerhalb der Bundeswehr mit 26 Mitgliedern. Es handle sich um 16 Unteroffiziere und 10 Mannschaftsgrade. Viele der unter Verdacht stehenden Soldaten gehören dem Versorgungsbataillon 141 aus Neustadt am Rübenberge an. Die Quelle ist ein Schreiben des Verteidigungsministeriums an die Obleute im Bundestag. In der Chatgruppe sollen gewaltverherrlichende, antisemitische, rechtsextreme Inhalte und Pornografie geteilt worden sein.

In den letzten Novembertagen werden in Linden und in der Nordstadt Ausgaben der „Express Zeitung“ aus der Schweiz in Briefkästen verteilt. Die Zeitung kommt aus dem verschwörungsmythologischen Spektrum.

Dezember

Laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung dringt zum Monatsanfang der „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“-Schauspieler und Verschwörungsmythologe Mustafa Alin aus Wunstorf unter Vortäuschung einer Verletzung unter anderem in die Paracelsius Klinik in Langenhagen ein. Er wollte vermeintliche „Corona-Lügen“ dokumentieren, fand in der Fachklinik für Bewegungsmedizin aber keine Coronapatient*innen. Nach mehreren weiteren Protesten der Verschwörungsmytholog*innen Anfang Dezember in Hannover, stoppt die „Frauenbustour“ des Stuttgarter Verschwörungsmythologen Bodo Schiffmann am 3. Dezember im beschaulichen Kleinstädtchen Lauenau. Im Wohnort des NSU-Unterstützers Holger Gerlach lauschen dabei ca. 40 Personen den Reden von Schiffmann und Ex-Polizist Michael Fritsch.

Am 12. Dezember werden erneut Sticker der Identitären Bewegung in der Hannover-Nordstadt verklebt. Dieses Mal wird vor allem in der Kornstraße und direkt vor dem selbstverwalteten Jugendzentrum UJZ Korn gestickert. Am Abend des gleichen Tages wird ein Hakenkreuz in direkter Nähe zum jüdischen Friedhof in der hannoverschen Nordstadt gesprayt. Das Hakenkreuz überdeckt eine Parole die Solidarität mit Geflüchteten fordert. Couragierte Anwohner*innen entfernen das nationalsozialistische Symbol umgehend.

Am 19. Dezember veranstalten Elf NPD-Anhänger*innen einen Info-Stand in Celle-Eschede, das lokale „Bündnis gegen Rechts“ protestiert in direkter Nähe dagegen. Ein NPD‘ler kündigt neben der Bürgermeisterkandidatur von Manfred Dammann auch weitere Infostände und Aktionen in Zukunft an.

Hausdurchsuchungen

Wie bereits im Jahr 2019, fanden auch im Jahr 2020 diverse Hausdurchsuchungen bei extrem rechten Akteuren oder wegen extrem rechten Straftaten statt. Bei Durchsuchungen im Jahr 2019 wegen Brandstiftung, Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, Verstoß gegen das Waffengesetz, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Urkundenfälschung und Volksverhetzung beschlagnahmte die Polizei elektronische Datenträger, Mobiltelefone, Militaria, Bargeld, gefälschte Dokumente, militärische Ausrüstungsgegenstände und Bücher. Ein Teil der Hausdurchsuchungen traf Reichsbürger.

Ein Teil der Razzien im Jahr 2020 richtete sich gegen Mitglieder der Calenberger Bande. Die Gruppe hat neben diversen gesprayten Parolen, Flyern und Plakaten möglicherweise auch zwei Brandanschläge gegen die Wohnhäuser eines jüdischen Ehepaares und einer kurdischen Familie im Jahr 2019 verübt. Die staatlichen Ermittlungen und Razzien waren nach einer detaillierten Recherche von Antifaschist*innen ins Rollen gekommen. Bei den fünf Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der Calenberger Bande zwischen Januar und März 2020 wurden elektronische Datenträger, Graffitiutensilien und Plakate sichergestellt. Bei einer Durchsuchung in diesem Zusammenhang in Pattensen, mutmaßlich im Elternhaus des CB-Anführers Patrick Kruse, vermerkte die Polizei in den Akten zudem einen Zusammenhang mit „Brand-/Sprengmittel und Waffen“. Kruse hatte in der Vergangenheit mehrfach Anschläge, unter anderem gegen Parteibüros in Hannover verübt. Als Mitglied der Gruppe „Rechtes Plenum Chemnitz“ trainierte er mit seinen Kameraden neben Straßenkampf auch an Waffen. Es ist daher davon auszugehen das Patrick Kruse auch weiterhin bewaffnet ist.

Andere Hausdurchsuchungen im Jahr 2020 erfolgten nach Drohungen oder Straftaten im Internet oder in Messenger-Gruppen. Hier stellte die Polizei neben elektronischen Datenträgern ein ferngesteuertes Motorboot, Dokumente und Gewehre und Pistolen sicher. Diese staatlichen Funde erfolgten überwiegend bei Personen, die bisher nicht durch extrem rechte Aktivitäten in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten sind. Die Funde lassen vermuten, dass wesentlich mehr Personen mit einem extrem rechten Weltbild und Vernichtungsfantasien in Hannover und der Region bewaffnet sind.

Nicht zuletzt zeigt die mögliche Hausdurchsuchung in der Region Hannover im Zusammenhang mit der Gruppe Nordadler, in der Soldaten, Polizisten und Mitglieder des Vereins Uniter einen politischen Putsch planten, als auch und die Hausdurchsuchungen im nahen Schaumburg und Ostwestfalen im Zusammengang mit der rechtsterroristischen „Gruppe S.“ in diesem Jahr, dass auch in der näheren Umgebung von Hannover von bewaffneten, extrem rechten Gruppen eine Gefahr ausgeht. Ein 21-jähriger aus Hildesheim soll in „anonymen Chats“ am 29. Mai mit Anschlägen gedroht haben. Er wolle Muslime töten. Bei einer Razzia fand die Polizei bei ihm Waffen und Datenträger mit extrem rechten Inhalten, nahm in U-Haft. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle ermittelt.

Rechte Gewalt und Betroffene rechter Gewalt

In Hannover und der Region wurden im Jahr 2020 mindestens zehn körperliche Angriffe verübt. Trauriger Höhepunkt ist der Mord am 15-jährigen ezidischen Kurden Arkan Hussein Khalaf Anfang April in Celle durch einen Täter, der sich von Migrant*innen verfolgt fühlte. Darüber hinaus wurden Journalist*innen bei der Berichterstattung über die verschwörungsmythologischen Proteste in Hannover und über den Hof Nahtz in Celle immer wieder bedrängt, geschubst und geschlagen. Mindestens drei Mal wurden Gegendemonstrant*innen gegen verschwörungsmythologische Demonstrationen angegriffen und geschlagen, eine Person wurde, durch einen als Falle präparierten Sticker der Identitären Bewegung, verletzt. Diese Zahlen sind vermutlich nur ein Bruchteil der tatsächlichen Angriffe durch extreme Rechte oder aus rassistischen, antisemitischen, antifeministischen und LGBTQ*-feindlichen Motiven im Jahr 2020 in Hannover und Region. Von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen.

Die rechte Gewalt erfolgte auch in diesem Jahr aber nicht nur durch körperliche Angriffe. Mit der Beschädigung des queeren Jugendzentrums in der Calenberger Neustadt und dem Wohnhaus des queerpolitischen Sprechers der SPD,  den laut Polizei „ausländerfeindlichen Parolen“ an der Moschee in der List, den Drohschreiben am Steintor. in der Südstadt und den Drohungen gegen den hannoverschen Oberbürgermeister, der möglichen Brandstiftung an einer Shisha-Bar in Neustadt am Rübenberge und den eingeritzten Hakenkreuzen an privatem Eigentum oder Wohnorten von diversen Personen, entsteht nicht nur ein finanzieller und ideeller Schaden. Solche Taten sind immer auch eine Drohung, eine Form der politischen Propaganda und ein Angriff auf das Leben der Menschen, die diese Schäden treffen. Nicht zuletzt werden dadurch Menschen als Gegner*innen markiert und ein Teil des gesellschaftlichen Raums angeeignet und besetzt.

Rechte Raumnahme

Extrem rechte Aktivitäten, abseits von Protesten und gezielten Angriffen und Anschlägen entfalten sich nicht nur im digitalen Raum. Auch wenn man beim Betrachten der einen oder anderen hannoverschen Facebookgruppe oder den Kommentarspalten der Lokalpresse gelegentlich den Eindruck gewinnt. Extrem rechte Akteure bewegen sich im Stadtbild, treffen sich vermehrt an verschiedenen Orten und markieren diese Räume. Diese Markierungen können durch bloße Anwesenheit, das verkleben von Stickern und Plakaten mit Parolen und politischen Inhalten, Graffitis und sogenannten „Tags“ im öffentlichen Raum geschehen. Solche Markierungen haben in der Regel gleich mehrere Funktionen. Zum einen wird politischen Gegner*innen kommuniziert, dass sie in ihrem Ort nicht alleine sind, sondern dass dort auch extrem rechte Akteure präsent sind. Zum anderen wird der öffentliche Raum dadurch mit extrem rechten Inhalten besetzt und diese Inhalte in die Öffentlichkeit getragen. Nicht zuletzt wird an politisch Gleichgesinnte kommuniziert, dass der so markierte Raum angeeignet wurde. „Das ist unser Revier“. Das wohl prominenteste Beispiel dafür ist der Stadtteil Dortmund-Dorstfeld, in dem extrem rechte Aktivist*innen wohnen, eine Immobilie besitzen und Sticker und „Nazi-Kiez“-Graffitis zuletzt das Bild im Stadtteil prägen.

Ziel solcher Raumaneignungen können sowohl die Stadtteile werden in denen extrem rechte Akteuer*innen wohnen, als auch Stadtteile oder Orte die von diesen Akteuer*innen als „feindliches Revier“ oder noch unbesetzter Raum wahrgenommen werden. Ein weiteres Ziel sind Räume, die durch ihre bloße Existenz einen Angriff auf extrem rechte Akteure selbst oder ihr Weltbild darstellen. Dazu gehören Gedenkstätten und Mahnmale.

Angriff auf Gedenkorte

Im Jahr 2020 sind mindestens drei solcher Angriffe auf Gedenkstätten und Gedenkorte dokumentiert. Im Januar stellte die Polizei ein eingeritztes Hakenkreuz auf einer Informationstafel der Gedenkstätte des KZ-Außenlagers Ahlem fest. Das Hakenkreuz wurde im Vorfeld einer Gedenkveranstaltung gefunden.

Schändung der mahnenden Informationstafel am Maschsee mit NS-Symbolik

In den ersten Maitagen wurde auf eine Informationstafel am Maschsee, die auf die nationalsozialistische Bücherverbrennung im Jahr 1933 hinweist Hakenkreuze, SS-Runen und „Kanaken raus“ geschmiert. An dem Ort hatten am 10. Mai 1933 nationalsozialistische Studentenverbände zusammen mit einer SA-Musikkapelle und Burschenschaften nach einem Fackelmarsch quer durch die Stadt Bücher von Karl Marx, Heinrich Mann, Erich Kästner, Heinrich Heine und anderen verbrannt. Die zeitliche Nähe der Schmierereien zum „Jahrestag“ der Bücherverbrennung und die nationalsozialistischen Symbole lassen auf eine bewusste Aktion schließen.

 

Auch die Markierungen mit Edding auf einer Tafel am Holocaustmahnmal am hannöverschen Opernplatz lassen auf eine bewusste und überlegte Handlung schließen. Auf den verschwörungsmythologischen Versammlungen auf dem Opernplatz, in direkter Nähe zum Mahnmal in diesem Jahr, äußerten Redner*innen nicht nur klar antisemitische Verschwörungserzählungen. Teilnehmer*innen trugen gelbe Sterne mit dem Wort „ungeimpft“ in altdeutscher Schrift und verglichen auf Plakaten die Pandemiesituation mit dem Holocaust. Einige setzten sich im Laufe der Versammlung auch immer wieder auf das Mahnmal, auf dem die Namen der Opfer der Shoa geschrieben sind. Zwei der auf das Schild gemalten germanischen Runen haben eine nationalsozialistische Bedeutung. Die Wolfsangel wurde in der Zeit des Nationalsozialismus unter anderem von einer SS-Division genutzt. In der neueren Zeit ist sie ein Logo der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine und findet sich auch auf dem Logo der ukrainisch-faschistischen Miliz Asow. Die zweite benutzte Rune, die Odal-Rune ist eine nationalsozialistische Abwandlung der sogenannten „Othala-Rune“ und wurde in dieser Form u.a. von einer weiteren SS-Division, der Hitlerjugend und dem „Rasse- und Siedlungshauptamt“ im dritten Reich benutzt. Heute ist es das Logo der „National Socialist Movement“ in den USA. Die Dritte Rune, „Fehu“ bedeutet in etwa so etwas wie „Vieh, Wohlstand, Besitz“ oder auch „Geld“. Auch die Streichung des Namens Rathenau auf dem Schild zeugt von einer antisemitischen Bezugnahme. Walther Ratehanu war ein deutscher Industrieller, Schriftsteller und Reichsaußenminister. Er wurde im Juni 1922 von Faschisten der „Organisation Consul“, einem aus einem Freikorps entstandene paramilitärischen Gruppe ermordet.

Auch bei einem gesprayten Hakenkreuz in direkter Nähe zum historischen jüdischen Friedhof in der Hannover-Nordstadt, dass eine Parole in Solidarität mit Geflüchteten überdeckte, kann eine bewusste räumliche Bezugnahme zum Friedhof vermutet werden.

 

Sticker und Graffiti als Besetzung es öffentlichen Raumes

Sticker der Identitären Bewegung auf eiinem Plakat in Badenstedt. Es wirbt für Safersex.
Sticker der „IB“ auf einem Plakat für Safersex in Badenstedt.

Rechter Sticker und Graffiti wurden im Jahr 2020 unter anderem in Springe, Gehrden, Barsinghausen, Pattsensen, Ronnenberg, Neustadt am Rübenberge, Seelze, Garbsen, sowie in den hannoverschen Stadtteilen Ahlem, Badenstedt, Davenstedt, Linden, Nordstadt, Burg, Mitte und in der Südstadt gesichtet. Eine besondere Ballung von Sichtungen konnte in Badenstedt, Linden und in der Nordstadt beobachtet werden. Bei den beiden alternativen hannoverschen Stadtteilen Nordstadt und Linden kann nicht abschließend geklärt werden, ob die hohe Zahl von Sichtungen den aufmerksamen Bewohner*innen zu verdanken ist, oder vermehrten rechten Aktivitäten in diesen Stadtteilen entspricht. In beiden Stadtteilen ist allerdings auffällig, dass viele Sticker auf einmal entlang fester „Routen“ verklebt wurden. In der Nordstadt insbesondere in der Nähe der Universität und der Burschenschaftsimmobilien startend in Richtung Norden und Vahrenwald. In der zweiten Jahreshälfte auch vermehrt im direkten Umfeld und am unabhängigen Jugendzentrum Kornstraße.

Extrem Rechte Parteien und Organisationen

Schon seit mehreren Jahren schaffen es extrem rechte Parteien wie die NPD oder „Die Rechte“ nicht in Hannover Fuß zu fassen oder verschwinden immer mehr in der Bedeutungslosigkeit, wie im Fall der NPD zu beobachten ist. Die Aktivitäten der Parteien konzentrieren sich dabei auf naheliegende Landkreise wie den Landkreis Celle, in dem die NPD im Ort Eschede versucht ein Schulungszentrum zu etablieren und in den örtlichen Strukturen an Einfluss zu gewinnen. Einen weiteren Schwerpunkt stellt zudem die Stadt Braunschweig da, wo sowohl „Die Rechte“ als auch die NPD ihre Aktivitäten weiter ausbauen. Die Machtkämpfe der AfD-Niedersachsen wirken sich auch direkt auf die Politik in Hannover und der Region aus. Auch hier sind Akteure der verschiedenen Lager anzutreffen. Hervorzuheben sind dabei die regelmäßigen konspirativen Treffen des Flügels der AfD Niedersachsen in der Wedemark, sowie der Aufbau der Jungen AfD, welche die Nachfolge der aufgelösten JA antritt. Die Versuche der AfD im Mai mehrere Kundgebungen in Hannover gegen die Corona-Maßnahmen zu veranstalten, wurde von den Behörden verboten. Die Unterstützung durch den Landesverband blieb aus, was u.a. auch am internen Machtkampf gelegen haben dürfte. Dies kann auch als deutliche Niederlage der Fraktion um den Bundestagsabgeordneten Dietmar Friedhoff gewertet werden.    Öffentlichkeitswirksame Aktionen konnten aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden. In Kombination mit den internen Machtkämpfen, welche die Partei zusätzlich lähmte, verlor die AfD in Hannover und der Region weiter an Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs.

Seit dem Verbot der Neonazi-Kameradschaft „Besseres Hannover“ im Jahr 2012, gelingt es der extrem rechten Szene nicht, eine feste Kameradschaftsstruktur zu etablieren. Dies sollte jedoch nicht über das vorhandene Personenpotential hinwegtäuschen, welches sowohl in Hannover als auch in der Region vorhanden ist. Dies zeigen exemplarisch die Aktivitäten der „Calenberger Bande“ sowie das Auftreten von 10 – 15 Personen aus Hannover am 1. Mai. Ehemalige Aktive aus neonazistischen Kameradschaften sind weiterhin aktiv und es gelingt zudem weitere junge Menschen zu politisieren. Abseits der Öffentlichkeit und den regelmäßigen Auftritten auf Demonstrationen oder Kundgebungen, können diese Strukturen relativ ungestört agieren.

 

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Verteilung extrem rechter Aktivitäten 2020
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Teilehmende rechter Veranstaltungen
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